Wort der Woche: Drangsal

Im Gegensatz zum Geschehen des Drangsalierens kommt die Drangsal als ein zunächst einmal täterloses Geschehen daher. Damit eröffnet sie die Möglichkeit, eine Erfahrung zu benennen, die in der Moderne (und gerade in westlich-spätmodernen Gesellschaften) omnipräsent ist. Denn wer ist, bei allem Übel, mit dem wir uns herumschlagen müssen, überhaupt noch an irgendetwas schuld? In der Welt der Sachzwänge, in der wir alle müssen, wie wir gar nicht wollen? Im Zeitalter der Psychologie, in dem wir wissen, dass wir, was wir an Kränkungen selber erfahren haben, auch irgendwo wieder loswerden müssen? In der Gesellschaft der komplexen Systeme, in der es vielleicht zwar moralisch verurteilungswürdiges Fehlverhalten gibt, aber genauso immer auch systemische Strukturen, die dieses begünstigen, Gesetze, die es nicht verhindern, eine Politik, auf deren Konto diese Gesetze gehen, und ein Wahlvolk, das diese Politik deckt? – So kann man denn also entweder drangsaliert werden – mit bösem Willen oder ohne – oder aber man hat es mit ganz und gar gesichts- und namenlosen Zumutungen zu tun: All diese Unbill kann man, aufsummiert und zusammengenommen und ungeachtet ihrer konkreten Form, mit gutem Recht Drangsal schimpfen.

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